Arbeitsrecht in der Pandemie

Ergänzung des Betriebsverfassungsgesetzes

Das Gesetz enthält die erwartete Änderung bzw. Ergänzung des Betriebsverfassungsgesetzes zu virtuellen Betriebsratssitzungen. Der Text lautet nun wie folgt:

§ 129
Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie

(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern- Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Absatz 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. Gleiches gilt für die von den in Satz 1 genannten Gremien gebildeten Ausschüsse.

(2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Absatz 1 Satz 1 und 2 entsprechend.

(3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.

Die Regelung trat rückwirkend zum 01.03.2020 in Kraft, war ursprünglich bis zum 31.12.2020 befristet, wurde dann aber bis 30.06.2021 verlängert. Sinngemäß entsprechende Regelungen wurden in das Sprecherausschussgesetz, das Europäische Betriebsräte-Gesetz sowie das SE-Beteiligungsgesetz (§ 48) eingefügt.

Aus der Begründung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zitieren wir wie folgt:

"Die Regelung trägt der Situation um die Covid-19-Pandemie und den damit verbundenen Schwierigkeiten einer Präsenzsitzung Rechnung. Sie schafft Rechtssicherheit für diese Ausnahmesituation und ermöglicht es dem Betriebsrat, dem Gesamt- und Konzernbetriebsrat sowie der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern- Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie den Ausschüssen dieser Gremien für einen begrenzten Zeitraum, Sitzungen und Beschlussfassungen mittels Video- und Telefonkonferenz einschließlich online gestützter Anwendungen wie WebEx Meetings oder Skype durchzuführen. Dabei können sowohl einzelne teilnahmeberechtigte Personen zugeschaltet oder die Sitzung kann ausschließlich als Video- oder Telefonkonferenz mit den teilnahmeberechtigten Personen durchgeführt werden. Es soll sichergestellt sein, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Dies umfasst technische Maßnahmen wie zum Beispiel eine Verschlüsselung der Verbindung und organisatorische Maßnahmen wie die Nutzung eines nichtöffentlichen Raumes während der Dauer der Sitzung. Die zugeschalteten Sitzungsteilnehmer können zum Beispiel zu Protokoll versichern, dass nur teilnahmeberechtigte Personen in dem von ihnen genutzten Raum anwesend sind. Sobald nicht teilnahmeberechtigte Personen den Raum betreten, ist hierüber unverzüglich zu informieren. Aufzeichnungen sind aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Teilnehmer und zur Wahrung der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzung nicht zulässig. Der Vorsitzende führt die nach § 34 Absatz 1 Satz 3 der Niederschrift beizufügende Anwesenheitsliste durch in Textform im Sinne des § 126b BGB bestätigte Anwesenheit der einzelnen zugeschalteten Teilnehmer. Die Nutzung von Video- und Telefonkonferenzen tritt als zusätzliche Option neben die hergebrachte Durchführung von Sitzungen unter physischer Anwesenheit der Teilnehmer vor Ort als Regelfall. Das Recht zur Teilnahme (z.B. §§ 32, 52, 59a für die jeweilige Schwerbehindertenvertretung oder § 67 für die Jugend- und Auszubildendenvertretung) bleibt unberührt.

Absatz 2 der Regelung überträgt die Möglichkeit zur Nutzung von Video- oder Telefonkonferenz auf die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss.

Damit auch während der Covid-19-Pandemie Betriebs-, Teil- und Abteilungsversammlungen sowie Betriebsräteversammlungen und Jugend- und Auszubildendenversammlungen stattfinden können, wird in Absatz 3 die zeitlich begrenzte Möglichkeit geschaffen, um Betriebsversammlungen mittels audiovisueller Einrichtungen durchzuführen und die damit verbundenen Modalitäten zu regeln. Eine Übertragung in Videokonferenzräume des jeweiligen Betriebs wird hierdurch ebenso ermöglicht wie die Übertragung über das Intranet. Die Regelung trägt u. a. dazu bei, Infektionsrisiken durch die Zusammenkunft vieler Beschäftigten zu vermeiden, ohne dass Betriebsversammlungen auf absehbare Zeit aufgrund des höherrangigen Gesundheitsschutzes der Belegschaft nicht mehr stattfinden können. Aufzeichnungen sind aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Teilnehmer und zur Wahrung der Nichtöffentlichkeit der Betriebsversammlungen nicht zulässig.

Soweit mit dieser Regelung elektronische Kommunikationsmöglichkeiten eröffnet werden, sind diese auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderungen barrierefrei zugänglich und nutzbar zu gestalten."

Präsenzsitzungen des Betriebsrats in der Covid-19-Pandemie

Der Ar­beit­ge­ber darf eine ge­plan­te Prä­senz­sit­zung des Ge­samt­be­triebs­rats nicht wegen ge­stei­ger­ten Co­ro­na-Ri­si­kos un­ter­sa­gen. Dies gilt ins­be­son­de­re, wenn ge­heim durch­zu­füh­ren­de Wah­len an­ste­hen, die nicht in Form einer Video- oder Te­le­fon­kon­fe­renz durch­ge­führt wer­den kön­nen, ent­schied das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg am 24.08.2020 in einem Eil­ver­fah­ren.

Quelle und weitere Informationen zu dem Beschluss: Beck Aktuell

Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes

Für den Bereich des öffentlichen Dienstes liegt der Ent­wurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundes­per­so­nalvertretungsgesetzes vom 21.04.2020 (Download ⇒ hier) vor.

Die Änderung soll die kontinuierliche Mitbestimmung in den Dienststellen des Bundes unter den Erschwernissen der Corona-Epidemie sichern. In einem ersten Schritt erweitert die von der Bundesregierung beschlossene Änderung der Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz die Durchführung von Briefwahlen in der Bundesverwaltung. 

Können die Wahlen dennoch nicht rechtzeitig stattfinden, bleiben die bestehenden Personalvertretungen bis zum Abschluss der Wahlen geschäftsführend im Amt und nehmen weiterhin die Interessen der Beschäftigten wahr. Dies sieht der Gesetzentwurf zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes zur Verhinderung personalratsloser Zeiten vor.  Um die Arbeits- und Beschlussfähigkeit zu gewährleisten, können die Personalvertretungen ihre Beratungen ohne Präsenzsitzungen mittels Telefon- und Videokonferenzen durchführen. 

Sämtliche Regelungen sind befristet bis zum 31. März 2021 und treten rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft, um Rechtssicherheit für den gesamten Wahlzeitraum zu schaffen.

Es bleibt abzuwarten, ob es auch noch entsprechende Änderung des Niedersächsischen Personalvertretungsgesetzes geben wird.

Mitbestimmung und Beschlussfassungen der Betriebsräte

HINWEIS:
Dieser Beitrag ist aktuell durch die ergänzende Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes (siehe oben) überholt.

Die Mitbestimmungs-, Informations- und Beteilungsrechte der Betriebsräte nach dem Betriebs­verfassungsgesetz gelten - noch - uneingeschränkt während der Corona-Krise. Nach unseren bisherigen Erfahrungen aber zieht die weit überwiegende Zahl der Betriebsräte in Interesse des Gesundheitsschutzes und der Erhaltung der Arbeitsplätze mit den Geschäftsleitungen an einem Strang. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, welches bereits aus § 2 BetrVG folgt, wird in der Praxis auch gelebt.

Probleme ergeben sich aber im Tatsächlichen. Wie kann z.B. eine Betriebsratssitzung und damit eine ordnungsgemäße Beschlussfassung stattfinden, wenn sich einzelne Betriebsratsmitglieder zwar arbeitsfähig, aber doch in häuslicher Quarantäne befinden? Wie können Abstandregeln in einer Betriebsratssitzung eingehalten werden?

Arbeitsminister Heil hat dazu in einer Ministererklärung zur Sicherung der Arbeitsfähigkeit der Betriebsräte vom 20.03.2020 mitgeteilt, dass er Beschlussfassungen in Fällen, in denen Prä­senzsitzungen nicht stattfinden können, für wirksam hält, wenn sie in virtuellen Be­triebs­ratssitzungen (Video- oder Telefonkonferenzen einschließlich online gestützter Anwendungen wie etwa Skype) erfolgen. Das sei angesichts der Gefährdungslage eine pragmatische Lösung, um die Arbeitsfähigkeit der Betriebsräte zu erhalten.

Natürlich kann man einwenden, dass die Exekutive, der ein Minister angehört, nicht für die Auslegung von Gesetzen zuständig ist; das ist Aufgabe Judikative, also der Gerichte. Gleichwohl: wenn es gar nicht anders geht, sollte diesem Vorschlag trotz aller damit verbundenen Risiken gefolgt werden. Bleibt zu hoffen, dass die dafür zuständige Staatsgewalt, also die Legislative, noch Zeit dafür findet, eine entsprechende Grundlage durch eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes zu schaffen oder, wenn das nicht geschehen sollte, dieser Weg später Gnade vor den Augen des Bun­des­arbeits­gerichts findet.

Wenn möglich, sollte aber statt der Telefon- die Videokonferenz gewählt werden, die immerhin noch die Gewähr dafür bietet, dass sich die "anwesenden Betriebsratsmitglieder" sehen und somit halbwegs sicher ist, dass alle auch wissen, wer an der Sitzung teilnimmt. Beachten Sie, dass Be­triebs­ratssitzungen auch interne, u.U. geheimhaltungsbedürftige Themen behandeln; die Ver­trau­lich­keit und der Datenschutz müssen gewährleistet werden; sonst können die Be­triebs­ratsmitglieder ihrer Geheimhaltungspflicht (§ 79 BetrVG) nicht nachkommen. Un­ternehmen, die dieses Medium bereits anderer Stelle mit einem Standard einsetzen, der das gewährleistet, sollten diese Möglichkeit ihren Betriebsräten anbieten.

Das Thema wird die Unternehmen sicher in Zukunft ständig betreffen. Wir raten Ihnen daher, über die Ver­fahrensweisen eine Regelungsabrede mit dem Betriebsrat zu treffen. Sprechen Sie uns dazu ggf. an. Von der Verwendung des dazu von der Gewerkschaft ver.di vorgelegten Musters ist dringend abzuraten!

Abzuraten aber ist in jedem Fall von anderen Formen der Willensbildung in Gremien, wie bspw. dem Um­lauf­verfahren. Auf keinen Fall sollten Sie die von der Gewerkschaft ver.di vertretene und über die Betriebsräte gern vorgelegte einseitige Erklärung abgeben.

Gefährungsbeurteilung nach dem SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard

Der vom Bundesarbeitsministerium erlassene SARS-COV-2-Arbeitsschutzstandard (siehe auf unserer Website unter https://www.ra-busch.de/index.php?id=schutzmassnahmen) ist eine gemeinsame Empfehlung, die in Kooperation des BMAS mit der BDA, dem DGB und anderen Arbeitsschutzstellen erarbeitet worden ist. Nach einer aktuellen Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamm (Beschluss vom 04.05.2020, Az. 2 BVGa 2/20) handelt es sich dabei aber nicht um eine Maßnahme des Gesundheitsschutzes im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Es lehnte daher den Antrag des Betriebsrates eines Einkaufszentrums auf Unterlassung der Rückkehr der Mitarbeiter in den Betrieb ab. Der Betriebsrat hatte geltend gemacht, dass es noch an einer Vereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung unter Umsetzung des SARS-COV-2-Arbeitsschutzstandards fehle.

Das sehen aber nicht alle Arbeitsgerichte so. So hat zuvor das Arbeitsgericht Neumünster mit Beschluss vom 28.04.2020 (Az. 4 BVGa 3a/20) dem Antrag eines Betriebsrates in einem einstweiligen Verfügungsverfahren stattgegeben, in welchem der Betriebsrat geltend gemacht hatte, dass der Arbeitgeber seine Beschäftigten nicht zur Arbeit auffordern dürfe, solange keine Einigung über die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung und über die zu ergreifenden Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen vor dem Hintergrund des SARS-COV-2-Arbeitsschutzstandards erzielt worden sei. Auf der Linie des Arbeitsgerichts Neumünster liegen auch Beschlüsse des Arbeitsgerichts Berlin vom 27.04.2020 (Az. 46 AR 50030/20) und des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 28.04.2020 (Az. 3 BVGa 7/20) vor. Diese Gerichte begründen ihre Beschlüsse jeweils damit, dass das hohe Infektionsrisiko durch COVID-19 eine besondere Gefährdung der Gesundheit darstelle, die nur durch wirksame vorherige Schutzmaßnahmen gemindert werden könnten. Diese Maßnahmen seien vor Aufnahme der Tätigkeit der Beschäftigten mit dem Betriebsrat zu vereinbaren.

Mittlerweile gibt es die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel, bei deren Umsetzung dem Betriebsrat indes zweifelsfrei ein Mitbestimmungsrecht zusteht.

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